Biodiversität braucht Klimaschutz – Prof. Essl im Interview

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Mag.a Pamela Hölzl, Soziologin, Studentin der Umweltwissenschaften und Assistentin auf der Greifvogel- und Eulenschutzstation OAW des Naturschutzbundes Oberösterreich hat Prof. Dr. Franz Essl, Biodiversitätsforscher an der Universität Wien und Wissenschaftler des Jahres 2022, am 31. Oktober 2024 zu einem Interview getroffen:

Prof. Franz Essl diskutiert in dem Interview die beschleunigte globale Erwärmung und deren Einfluss auf die Biodiversität und unsere Landschaft. Er erklärt, warum Naturschutz angesichts des Klimawandels neue Prioritäten setzen muss und warum die Zeit drängt.

Herr Professor Essl, Sie sind Wissenschaftler des Jahres 2022 und haben 2013 Ihr Buch „Biodiversität und Klimawandel – Auswirkungen und Handlungsoptionen für den Naturschutz in Mitteleuropa“ veröffentlicht. Was hat sich seitdem verändert?

In den letzten zehn Jahren sind die Temperaturveränderungen bedingt durch den Klimawandel noch viel rascher vorangeschritten, als man damals befürchtet hat. Wir haben mittlerweile weltweit eine Temperaturerhöhung von 1,5 C und in Österreich sind wir eher bei 3 C Erhöhung. Das ist dramatisch.

Der Klimawandel hat große Auswirkungen auf die Biodiversität. Wie hängen Klimawandel und Biodiversität zusammen?

Klima ist der wichtigste Faktor, der die Verbreitung von Arten und Lebensräumen bestimmt. Der aktuelle Klimawandel verläuft immens rasch – seine Geschwindigkeit ist mehr als zehnmal so groß als die Klimaschwankungen während der Eiszeit. Das hat dramatische Konsequenzen für die Verbreitung von Arten und Lebensräumen, da viele Arten mit dieser raschen Veränderung nicht Schritt halten können. Das betrifft besonders seltene, spezialisierte Arten, die zum Beispiel an kühle und feuchte Lebensräume angepasst sind, wie Moorarten. Ein Beispiel ist der Rundblättrige Sonnentau (Drosera rotundifolia).

Wie verursacht der Klimawandel Änderungen in der Biodiversität und in den ökologischen Beziehungen der Arten zueinander?

Die Arten reagieren unterschiedlich auf die neuen Bedingungen. Manche kommen besser damit zurecht als andere, die dann entweder abwandern oder aus ihrem Lebensraum verschwinden. Problematisch wird es besonders dann, wenn die Arten aufeinander angewiesen sind. Ein Beispiel sind Insekten-Wirtspflanzenbeziehungen. Viele Insekten schlüpfen im Frühjahr zeitiger, weil es früher warm wird, aber die Entwicklung der Wirtspflanze ist noch nicht so weit, weil sie beispielsweise durch die Tageslänge gesteuert ist. Es gibt also unterschiedliche Taktgeber für die jeweilige Entwicklung, die dann zu einer zeitlichen Diskrepanz führen.

Sie sagen, dass der Klimawandel mit großem Tempo voranschreitet. Welchen Einfluss hat diese Entwicklung auf die Lebensräume?

Es kommt zu Arealverschiebung der Klimazonen. Das ist besonders schwierig für langlebige, nicht mobile Arten, wie Bäume. Ein Baum, der zum Beispiel 100 Jahre lebt, muss innerhalb des gesamten Zeitraumes im Bereich seiner klimatischen Nische bleiben. Besonders sichtbar ist dieses Problem bei der Fichte, die forstwirtschaftlich der wichtigste Baum bei uns ist. Borkenkäfer, wie der Buchdrucker, können durch die Erwärmung mehr Generationen pro Jahr durchlaufen. Die Fichte ist ein Flachwurzler und sie kommt daher in heißen und trockenen Sommern unter Stress. Dadurch kann sie weniger Harz produzieren, das sie für die Borkenkäferabwehr braucht. Die Folge sind Massenvermehrung von Borkenkäfern und massive Waldschäden. Die Problematik der Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit betrifft mittlerweile aber auch andere Bäume, auch Laubbäume, wie die trockenresistente Eiche. Das wird sich mit dem Fortschritt des Klimawandels verstärken.

Zu den Gewinnern des Klimawandels gehören vor allem Wärme liebende Arten, darunter viele nichtheimische, die bisher bei uns durch kalte Winter eingeschränkt waren. Es gibt jedoch auch Arten aus wärmen Teilen Österreichs, die sich nun in Oberösterreich ausbreiten. Besonders auffällig ist dies bei Insekten, da die oft flugfähig sind und einen kurzen Entwicklungszyklus besitzen und daher rasch auf Umweltveränderungen reagieren. Seit der Jahrtausendwende haben fünf Heuschreckenarten Oberösterreich neu besiedelt. Dazu gehören die Große Schiefkopfschrecke, das Weinhähnchen und die Sumpfgrille.

Auch bei den Vögeln, der mobilsten Wirbeltiergruppe, breiten sich Wärme liebende Arten aus. So gibt es vom Bienenfresser in Oberösterreich mittlerweile mehrere Kolonien. Andererseits gehen an feuchte und eher kühle Standorte angepasste Arten, wie Wiesenbrüter, die zusätzlich unter Nutzungsänderungen von Feuchtwiesen unter Druck stehen, stark zurück.

Was macht diese Arealverschiebung für die Arten so schwierig?

Das schwierige dabei ist das hohe Tempo der Verschiebung der Klimazonen. Wir sprechen hier davon, dass sich in wenigen Jahrzehnten das Klima stärker verändert als früher in Jahrtausenden. Das überfordert zunehmend die Fähigkeiten der Arten, sich an das ändernde Klima anzupassen.

Hinzu kommt die starke Fragmentierung der Landschaft. Viele Arten sitzen in Refugien und können nicht ausweichen, weil dazwischen intensiv genutzte Landschaft ist. Ein Beispiel hierfür sind wiederum die Moore, die nur mehr stark verinselt existieren, denn dazwischen liegen kilometerweit keine geeigneten Lebensräume. Deswegen können sich Moorarten kaum von einem Moorstandort zum anderen ausbreiten.

Was bedeuten diese gravierenden Einschnitte für den Naturschutz?

Das Selbstverständnis des Naturschutzes muss sich ändern. Früher konnte man geschützte Räume wie Naturschutzgebiete schaffen und dort konnte man die intensive Landnutzung, die der Hauptverursacher des Artenrückgangs ist, ausschließen. Der grundlegende Unterschied beim Klimawandel ist, dass er überall passiert, auch in Schutzgebieten. Und das mit einer unglaublichen Geschwindigkeit. Der Naturschutz muss sich daher massiv für eine ernsthafte Klimapolitik einsetzen. Das bietet aber auch Chancen, denn sehr vieles, wofür sich der Naturschutz einsetzt, ist auch ein Beitrag zum Klimaschutz. Der Schutz von Feuchtgebieten und alten Wäldern, aber auch eine angepasste Landnutzung erhöhen die Speicherung von Kohlenstoff. Diesen Mehrwert muss der Naturschutz noch stärker kommunizieren.

Dazu kommen noch viele andere Folgen des Klimawandels, wie häufigere Extremwetterereignisse, Hochwasser zum Beispiel. Wird dem nicht Einhalt geboten, wie durch eine ernsthafte Klimapolitik, werden immer mehr Schwellenwerte überschritten. Mit existenziellen gesellschaftlichen Folgen.

Welche Prioritäten sollen ihrer Meinung nach gesetzt werden?

Naturschutz und Klimaschutz muss gemeinsam gedacht werden. Der sich immer mehr verstärkende Klimawandel konterkariert letztlich alle Naturschutzziele und gefährdet unsere Gesellschaft.

20.11.2024

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