Ruderalflächen – kleine Wildnis mitten in der Stadt

Gewöhnliche Natternkopf © J. Limberger

Lebensraum des Monats Oktober

Karg und artenreich zugleich, so stellen sich häufig Ruderalflächen oder Kulturbrachen in Städten dar. Durch ihr oftmals kleinräumiges Mosaik an unterschiedlichen Biotopen sowie Standortverhältnissen sind sie attraktiv für eine Fülle von Tier- und Pflanzenarten, die sonst in Siedlungsgebieten und intensiv agrarisch genutzten Flächen kaum überleben können. Diese ungenutzten Flächen inmitten verbauter Gebiete bieten nicht nur der Natur, sondern auch den Menschen Freiräume, was nicht zuletzt für eine gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wichtig ist. Zudem sind sie eine kostengünstige Alternative zum Intensivgrün in der Stadt.

Ruderalflächen entstehen auf ehemaligen Rohbodenstandorten, die vorübergehend oder auch auf Dauer nicht bebaut oder anderweitig genutzt und gepflegt werden, beispielsweise alte Gleis- oder Industrieanlagen sowie Baulücken. Als Rohböden werden Böden bezeichnet, deren Ausgangsmaterial noch kaum verwittert ist und die dementsprechend so gut wie keinen Humus enthalten. Dies führt zu extremen Bedingungen für Pflanzen in Hinblick auf Nährstoffe, Licht und Wasser. Derartige Ruderalflächen können auch natürlich durch Hangabrutschungen oder in Überschwemmungsgebieten von Flüssen entstehen, weshalb es eine Reihe von Pflanzenarten, die sogenannte Ruderalflora, gibt. Sie sind an solche Gegebenheiten bestens angepasst und können diese Standorte schnell und effektiv besiedeln, zum Beispiel über viele flugfähige Samen oder über Samen, die schon über Jahre oder Jahrzehnte im Boden „geschlummert“ und nur auf passende Keimbedingungen gewartet haben. Typische krautige Pflanzen der Ruderalfluren sind Kompasslattich, Wilde Malve, Große Brennnessel, Weg-Rauke, Große Klette, Gewöhnlicher Natternkopf, Guter Heinrich, verschiedene Königskerzen-Arten und viele mehr.

 

Bald finden sich auch die ersten Tiere ein. Besonders für Insekten wie Bienen, Schmetterlinge, Käfer, Heuschrecken und Schwebfliegen bieten diese Standorte das ganze Insektenjahr über ein reichhaltiges Nahrungsangebot. Wildbienen schätzen die Struktur von Ruderalflächen besonders, da sich zwischen blütenreicher Vegetation immer wieder große offene Stellen befinden, die als Nistplätze genützt werden, denn etwa zwei Drittel der heimischen Wildbienenarten legt ihre Nester im Boden an. Die dadurch entstehende, hohe Insektendichte lockt auch Vögel und Fledermäuse an. Kleinsäuger und Reptilien fühlen sich hier ebenso wohl. Selbst vom Aussterben bedrohte Tierarten wie die Wechselkröte sind gerade auf diese Flächen angewiesen.

Foto: Wechselkröte © G. Ochsenhofer

Irgendwann kommen auch Bäume und Sträucher hinzu und schon ist sie entstanden, die kleine Wildnis mitten in der Stadt. Diese Wildnisflächen zeigen hervorragend, dass Natur nicht gehegt und gepflegt werden muss, um vielfältig zu sein. Ruderalflächen sind Standorte, die immer wieder neu entstehen und auch wieder verschwinden. Dennoch ist ihre Gesamtzahl in den letzten Jahren stark zurückgegangen, da eine typische „Gstettn“ vielfach als zu unordentlich nicht geduldet und schnell mal asphaltiert oder mit Scherrasen überzogen wird. Zeigen Sie daher ein bisschen Mut zur Unordentlichkeit und üben Sie sich in Gelassenheit, wenn die Natur nicht immer dem eigenen Sinn für Schönes entspricht.

Lebensräume - Lebensträume

Jeder Art stellt bestimmte Ansprüche an ihren Lebensraum: Die einen mögen es warm und trocken, die anderen feucht und kühl. Es gibt Arten, welche beispielsweise nur im Wald oder im Moor zu finden sind, andere erobern selbst naturferne Biotope mitten in unseren Städten. Nur eine Landschaft mit einer bunten Palette an unterschiedlichen Lebensräumen bietet zahlreichen Lebewesen eine Heimat. Im Jahr 2021 stellt der Naturschutzbund verschiedene Lebensraumtypen Oberösterreichs, ihre typischen Bewohner und auch Gefährdungsursachen im Rahmen der Artikelserie „Lebensräume – Lebensträume“ vor.

 

Zurück

.